Zur Veranstaltung zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag
Berlin. Für Prof. em. Matitjahu Kellig, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Herford-Detmold, und Stefan Schwartze, SPD-Bundestagsabgeordneter für den Kreis Herford und Bad Oeynhausen, sind es Stunden, die bewegen, die beeindrucken, die aber auch zum Nachdenken zwingen. Anlässlich des Tages zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus besuchen beide gemeinsam die Gedenkstunde im Deutschen Bundestag und danach den Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde in der Tiergartenstraße in Berlin. Die einstige Stadtvilla, in der die „Euthanasie“-Morde seit 1940 geplant und verwaltet wurden, steht nicht mehr. Heute erinnert dort nur noch die Gedenkstätte an die Taten jener Zeit. Und natürlich die letzten lebenden Zeitzeugen – oder deren Nachkommen. Zu den damaligen Opfern zählten mehrere hunderttausend Kinder, Männer und Frauen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen.
Die Gedenkstunde im Bundestag stand mit ihren bewegenden Reden von Holocaust-Überlebende Eva Szepesi und dem Sportjournalist Marcel Reif ganz im Zeichen der generationsübergreifenden Aufarbeitung des Holocaust. Stefan Schwartze war es ein besonderes Anliegen, Matitjahu Kellig dazu einzuladen. Zum ersten Mal in 15 Jahren, denn es stehen nur wenige Plätze auf der Tribüne zur Verfügung. Für Schwartze waren es dieses Jahr bewegende Momente. „Zutiefst beeindruckt hat mich, dass noch einmal die Generation gesprochen hat, die das Leid selbst miterlebte, aber auch zu hören, wie die Situation heute auf sie wirkt. Besonders der Appell, jetzt Flagge zu zeigen und sich nicht in einer schweigenden Mehrheit zu verlieren, hat mich sehr bewegt. Nie wieder, nie wieder darf uns das passieren“, berichtet Schwartze im Anschluss nachdenklich, und ergänzt: „Auch war es mir eine große Ehre, den Tag mit Matitjahu Kellig zu erleben, der seit Jahren für ein tolerantes Miteinander kämpft und selbst regelmäßig Anfeindungen erlebt“.
Auch für Matitjahu Kellig war dieser Tag ein besonderer mit vielen bewegenden Momenten. „Die Gedenkstunde im Deutschen Bundestag hat mich persönlich sehr berührt und betroffen. Es ist mir wieder schmerzhaft bewusst geworden, wie bedrohlich meine Lebenssituation als Jude hier in Deutschland ist. Auch und besonders die Gedenkstunde am Euthanasie-Denkmal war ergreifend! Es waren äußerst würdige Veranstaltungen, die beispielhaft und staatstragend waren“.
Doch Kellig sieht über den Rand der Stunde hinaus und fragt, welche Bedeutung solche Gedenkstunden, Veranstaltungen und Ereignisse für die Gegenwart und Zukunft haben, welche Konsequenzen daraus erwachsen können. „Gerade in dieser aufwühlenden und bedrohlichen Zeit, ist es dringend geboten, an die sogenannte Vergangenheit zu erinnern und somit eine wirkliche Perspektive zu bieten. Wir dürfen Antisemitismus nicht nur in der Vergangenheit verankern, sondern im Hier und Jetzt, im Morgen. Respekt und Toleranz sind der einzige, der einzige Weg zum Frieden und Miteinander. Ohne ein Wenn und ohne ein Aber!
Und er nimmt kein Blatt vor den Mund, wird sehr deutlich und konkret. Man spürt, wie wichtig ihm das Ganze ist und wie nah es ihm geht, wenn er fragt: „Wie das umsetzen? Fangen wir bei uns selbst an! Bin ich respektvoll und tolerant – auch zu mir? Wo ist eine Grenze erreicht? Wie gehen wir in der Gesellschaft damit um?
Menschen haben keine sogenannten Vorurteile, sondern bereits festgefasste Urteile. Denn: Vorurteile hieße ja, dass man noch kein abschließendes Urteil gefällt habe. Doch in unserer Zeit gibt es die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – mit einem dann klar formulierten Urteil. Eben das Generalisieren von (Vor-) Urteilen. Die Juden, die Christen, die Muslime, die MigrantInnen, die Atheisten usw.! Pauschale Vorurteile sind nicht hinnehmbar, da sie andere endgültig abstempeln.
Unsere Gesellschaft ist zunehmend geprägt von Inkompetenz und Ignoranz – von Selbstgefälligkeit, Selbstherrlichkeit und Selbstgerechtigkeit. Es fehlt an Seriosität, Differenzierungsfähigkeit, an Respekt und Toleranz – an Menschlichkeit“.
Zum Abschluss zitiert Kellig Marcel Reif aus seiner Rede im Bundestag, um selbst eine mögliche Antwort auf die von ihm gestellte Frage zu geben ‚Wie geht es jetzt weiter, was machen wir jetzt? SEI EIN MENSCH“.